„Das Leiden Christi auf der Bühne“

Zur Wiederbelebung der oberpfälzischen Passionsspieltradition im 20. Jahrhundert

von Manfred Knedlik

Im 20. Jahrhundert ist in der Oberpfalz wiederum eine lebendige Passionsspiellandschaft erwachsen, die das lokale christliche Erbe in volksnaher Form bewahren, pflegen und sinnlich vergegenwärtigen kann. Der große Gemeinschaftssinn der Autoren, Veranstalter und Spielgruppen, deren innere Anteilnahme deutlich spürbar ist, lässt dabei auch für die Zukunft eine kontinuierliche Spielpflege erwarten.

Kemnath

In Kemnath rief man 1983 anlässlich der 975-Jahr-Feier wieder die Erinnerung an die barocke Spieltradition wach. Dabei erwiesen sich Eingriffe in Sprachgestalt, Umfang und Ausdruckshaltung der „Passion Comedi“ von 1731 als notwendig, um eine Darstellungsform zu finden, die dem religiösen Empfinden des Menschen im 20. Jahrhundert entsprach. Das „Spiel von der Gefangennahme und Verurteilung Jesu“ wurde ein großer Erfolg, der den Entschluss zur Fortführung in Abständen von fünf Jahren festigte. 1988 erfolgte in Anlehnung an die Urfassung eine Erweiterung des Spiels um Kreuzweg und Kreuzigung. Ein Leidensweg in starken Bildern, dargeboten von über 250 Mitwirkenden, zog die Zuschauer zuletzt im Frühjahr 2008 in seinen Bann.

Neumarkt

Immer wieder haben geistliche und weltliche Schriftsteller in der Gestaltung der Leidensgeschichte Jesu Christi einen literarischen Auftrag gesehen. Im Jahr 1901 rief man die Erinnerung an die im ausgehenden 18. Jahrhundert erloschene Passionsspieltradition wieder wach. Mitglieder des Katholischen Gesellenvereins brachten mehrfach Szenen der Leidensgeschichte Jesu in Art eines Singspiels zur Aufführung. Mit einem Spiel aus der Feder des Katecheten Roman Mayr wurde 1922 in Neumarkt durch die örtliche Kolpingfamilie eine neue Tradition begründet. Die Begeisterung und die spürbare innere Ergriffenheit von Mitspielern und Publikum ließen für die Zukunft Kontinuität erwarten, doch gelangte das Passionsspiel aufgrund der schwierigen Zeitläufte erst 1959 und 1964 wieder auf die Bühne. Nachdem die theologische Diskussion während des II. Vatikanischen Konzils für eine weitere Unterbrechung gesorgt hatte, wird die –  von dem Neumarkter Studiendirektor Hans G. Hirn sprachlich und inhaltlich grundlegend überarbeitete – Geschichte vom Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi in 19 Bildern seit 1984 erneut aufgeführt. Das schlichte, karge Bühnenbild, historisch stimmige Kostüme und die stimmungsvolle Lichtführung verleihen der szenischen Präsentation ihre ausdrucksstarke Atmosphäre. 1989, 1999 und 2009 konnten jeweils mehr als 20000 Zuschauer die Darstellung der Neumarkter Passion, welche die christliche Botschaft vom Geheimnis des Kreuzes in eindringlicher Form vermittelt, zutiefst beeindruckt miterleben.

Maxhütte

Als eine anschauliche, ergreifende und aufrüttelnde Verkündigung der Glaubenswahrheiten erwies sich das Passionsspiel, das in den zwanziger Jahren in Maxhütte vom Katholischen Arbeiterverein nach dem Vorbild von Oberammergau präsentiert wurde. Die überlieferten Fotos zeigen, hinsichtlich der Requisiten und Kostüme, Bemühen um historische Authentizität: Die Gewänder der Hohen Priester etwa waren in orientalisierendem Stil gehalten, die Kopfbedeckungen mit ihren breiten, hoch geschwungenen Spitzen sollten einen besonders originalgetreuen Eindruck vermitteln.

Amberg

Im Jahr 1932 brachte der Katholische Gesellenverein, mit Unterstützung des Cäcilienvereins, eine literarische Neuschöpfung mit “herrlichen Gesängen”, deren Melodien der Liturgie entnommen waren, auf die Passionsbühne. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte die Wiederbelebung der religiösen Schauspiele in Amberg zu einem Text des 16. Jahrhunderts zurück: In einer modernisierten Fassung wurde „Der gantz Passion“ von Hans Sachs (1560 in Amberg gedruckt und dem Rat der Stadt gewidmet), übertragen von Walter Schricker und Georg Leingärtner, 1955 dem Typ des christlichen Laien- und Gemeindespiels angenähert. Nach dieser Vorlage erfolgte 1984 anlässlich des 950-jährigen Stadtjubiläums eine Inszenierung in der Paulanerkirche durch die Theatergruppe des Max-Reger-Gymnasiums, die gerade in ihrer Schlichtheit zu einer überzeugenden, den protestantischen Geist des Verfassers spiegelnden Präsentation geriet.

Fuchsmühl

Einen – im positiven Wortsinn – „eigen-artigen“ Akzent setzte der Heimatdichter Theo Schaumberger. Seine „Fuchsmühler Passion“, 1988 in der Wallfahrtskirche Maria Hilf uraufgeführt, sieht nicht Jesus Christus, sondern Judas als Mittelpunkt der Leidensgeschichte. Sein qualvoller Weg vom glühenden Verehrer seines Meisters zum Verräter und schließlich zum Gequälten und Verzweifelnden dominiert das Geschehen auf der Bühne. Im März 2010 brachte die Fuchsmühler Laienspielgruppe die bewegenden Szenen erneut zur Vorführung.

Tirschenreuth

Zu den jüngsten Passionsspielorten gehört Tirschenreuth. Das 1997 ur- und 2000, 2005 und 2010 wiederaufgeführte „Spiel vom Leiden und Sterben Jesu Christi“ des renommierten Theatermannes Johannes Reitmeier bringt die Leidensgeschichte in einer Folge von 14 Bildern auf die Bühne: Die Handlung reicht von der Vorbereitung des Passahmahles über die Beratung des Hohen Rates und den Verrat des Judas, das letzte Abendmahl, das Ölberggebet Jesu, die Verhandlungen vor Pilatus und Herodes, die Verurteilung, den Tod des Judas, die Kreuztragung und Kreuzigung Jesu bis zur Grablegung und Beweinung durch die Frauen. Der Tod bildet jedoch nicht das Ende: In einem eindrucksvollen Schlussbild verkündet der Christus-Darsteller – nun, mit Jeans und Hemd bekleidet, gleichsam „aus der Rolle getreten“ – die frohe Botschaft vom Kommen des Gottesreiches. Ein Grund für die eindrucksvolle Wirkung der „Tirschenreuther Passion“ liegt sicherlich in der literarisch geglückten Verbindung von Hochsprache und heimatlichem Dialekt. Die erzählerischen Passagen der vier Evangelisten in frischer, kräftiger Mundart verleihen der Passionsgeschichte eine ganz bodenständige Atmosphäre. Gerade sie holen die Berichte der Evangelien in die Gegenwart herein und machen aus einem historischen ein gegenwärtiges Ereignis, das die heutigen Zuschauer zum gläubigen Mitleiden bewegen will.


Literatur, Links:
  • Manfred Knedlik: Christliches Erbe in volksnaher Form. Die Tirschenreuther Passion, in: Stiftland – Egerland – Kulturland. Festschrift zum 37. Bayerischen Nordgautag in Tirschenreuth (Hg. Oberpfälzer Kulturbund). [Sulzbach-Rosenberg] 2008, 129–133.
  • Manfred Knedlik: Oberpfälzer Laienspieler stellen das Leiden Christi auf die Bühne. Die Tradition des Passionsspiels in Neumarkt. In: Unser Bayern 58 (2009), Nr. 3, 12-15.
  • Manfred Knedlik: Wenn die Jünger in Mundart sprechen. Passionsspiele in Tirschenreuth. In: Literatur in Bayern 26 (2010), Nr. 99, 61–66.
  • Johannes Reitmeier: Die Tirschenreuther Passion. Ein Spiel vom Leiden und Sterben Jesu Christi. [Tirschenreuth 2000].
  • Manfred Knedlik (Hg.): Kemnather Passion. “Ölberg” (1695), “Passion Comedi” (1731) und “Charfreytags procession” (1764). Im Anhang: “Das Spiel von der Gefangennahme, Verurteilung und Kreuzigung Jesu”. Sprachliche Neubearbeitung von Ernst Hermann und Heribert Krichenbauer. Pressath 1993.
  • Kemnather Passion 1998. Das Spiel von der Gefangennahme, Verurteilung und Kreuzigung Jesu [Text: Stefan Prechtl … Bilder: Alfons Witt]. Kemnath 2008.
  • http://www.passionsspiele-neumarkt.de/nathus-9640/die-passionsspiele.html
  • http://www.kemnath.de/kultur-bildung/kemnather-passionsspiel/
  • http://www.tirschenreuther-passion.de/